Kurze Geschichte des Akademischen Fechtens in Deutschland; Teil 1

 

Werkzeuge des Teufels

Degen und Fechthandschuh: Werkzeuge des Teufels

 

 

Das akademische Fechten in Deutschland entstammt alten europäischen Kampfsporttraditionen, die von Adel und Ritterschaft über Jahrhundert gepflegt wurden…

by J. Christoph Amberger

“Fort mit dir, du Verfluchter, in das ewige Feuer.” 

So spricht im Geistlichen Sittenspiegel von 1732 (nachgedruckt 1815) der neben dem Himmelbett eines Sterbenden schwebende Heiland. Über dem Siechen schwingt Vetter Hein bereits die Sense, zur Rechten öffnet sich die Hölle mit Teufeln und allerhand tierischen Monstrositäten. Einer der Gehörnten hält dem armen Sünder einen dicken Folianten vor, der die sieben Todsünden säuberlich auflistet. Vor dem Bett liegt ein Stilleben von sündigster Symbolik: Ein Buch (gar ein Roman?). Die übervolle Börse des Spielers oder Geizhalses, aus der die Münzen auf den Boden quellen. Der umgeworfene Krug des geselligen Trinkers. Und um das Mass so richtig voll zu machen glänzt dort auch noch ein Schwert – ein Haudegen mit Korbgefäss und dazugehörigem Fechthandschuh, dessen leerer Zeigefinger anklagend auf das Ensemble verweist.

Fechten, Saufen, das Lesen weltlicher Lektüre, und das Anhäufen und Ausgeben von Reichtum im Glücksspiel – diese Aktivitäten charakterisierten im 18. und 19. Jahrhundert den jungen Mann von Welt in Deutschland und Frankreich, ebenso wie den angelsächsischen “man of leisure”: Für spirituelle und politische Pietisten dient dieser Menschenschlag und sein standestypisches Betätigungsfeld als perfekter Koagulationspunkte ständischer und ideologischer Ressentiments. 

Besonders in Deutschland bleibt so das Fechten bis weit ins 20. Jahrhundert ideologisch brisant: Das mag mit den hochindividuellen, atavistischen Qualitäten der bewaffneten Auseinandersetzung zweier freier Männer zu tun haben, welche sich wissentlich und willentlich durch die vorbürgerlich-barbarische Gewaltanwendung ausserhalb der herrschen Ordnung des Staatsgefüges begeben:

War das Duell mit blanken und Feuerwaffen in gewissen gesellschftlichen Kreisen statuserhaltend, wurde es doch von Seiten der geistlichen und weltlichen Obrigkeit scharf geahndet. Bürgerlichen und militärischen Duellanten drohte Festungshaft. Die katholische Kirche lehnte selbst die fechterischen Betätigungen der Studenten als Vorbereitung zum Duell rigoros ab und drohte mit Exkommunikation.

Doch auch die im Laufe der Industrialisierung erstarkende Arbeiterklasse war kein Freund des Klingenspiels: Der sozialdemokratische Arbeiter-Turn-und-Sportbund schloss “bürgerliche” Sportarten wie Fechten und Tennis kategorisch aus seinem Angebot aus. Die Nazis – obwohl durchaus Förderer des modernen Sportfechtens – brachten das geradezu akrobatisch anmutende Winkelstück fertig, die studentische Mensur 1933 zunächst zwar zu legalisieren, die mensurschlagenden Verbände bis 1935 jedoch in die Auflösung zu treiben. Im Jahr 1979 noch bestätigt das DDR Fecht-Autorenkollektiv unter der Leitung von Berndt Barth dem Fechtsport vor 1933 einen “Klassencharakter”, bei dem “grossbürgerliche” und “militaristische” Schwingungen bestimmend waren.

Die Fechtphobie der Frömmler und Ideologen des 19. Jahrhunderts besteht weiter in den heute “politisch korrekt” verbrämten Denunziationen der studentischer Mensur an Universitäten und in der deutschen Presse, zum Teil unverändert in Diktion und Sentiment seit der dunkelsten Zeit des Dritten Reichs.

Für den deutschen Kampfsportler und Kampfsporthistoriker sind diese ererbten ideologischen Scheuklappen durchaus bedauerlich, stellt doch die Fechtkunst – und gerade die Hiebfechtkunst – im Deutschland des 19. Jahrhunderts nicht nur die Endphase der Blankwaffe als militärische Kriegs- und zivile Ehrenwaffe dar, sondern wartet mit einer Vielzahl von systematischen Ansätzen auf, die den ryu im Japan des 17. und 18. Jahrhunderts an Vielseitigkeit in nichts nachsteht.

Anfang des 19. Jahrhunderts war der Fechtbetrieb der Militärs und des Adels geprägt von französischen Methoden und damit integraler Bestandteil einer paneuropäischen Hoch- und Militärkulktur. Deutsche Studenten und ihre Fechtmeister fochten nach Schulen, die ihren Ursprung und ihr Regelwerk aus uralten europäischen Strömungen schöpften, bis sie Ende des Jahrhunderts zu historisch einzigartigen geschlossenen, ritualisierten Kampfsystemen gefroren waren.

Turner und Wehrsportler aus Deutschland und Skandinavien bemühten sich um Verbreitung ihrer Fechtsysteme als paramilitärischen Volkssport, bis sie um 1890 von der neuen Schule der italienischen Militärs und dem auf sportlichen Wettbewerb ausgerichteten Vorläufern des modernen Sportfechtens verdrängt wurden.

Tradition und Perspiration

Zur Abrundung der Menschwerdung pflegten die oberen Schichten fast aller europäischen Kulturen ihren männlichen Nachwuchs zu kampfsportlich geprägten Leibesübungen anzuhalten. Neben regionalen Spezialitäten umfassten diese zumeist Elemente wie das Ringen und Schiessen, sowie Wettlauf, Reiten und das Stossen von Feldsteinen, Baumstämmen und anderen unhandlichen Gegenständen.

Early German Sports

Early German Sports

Einen guten Eindruck vom typischen Repertoire dieser frühen Wettkämpfe vermitteln die schottischen Highland Games, die heute noch in allen Ländern mit substantiellem schottischen Bevölkerungsanteil (und dem damit einhergehenden Grad gälisch-heroisierender Hochlandsromantik) ausgeübt werden.

Der Sporthistoriker und Ringer Dr. Rainer Welle bezeichnet diese Vorformen des modernen Sports als “ursprünglich und vorrangig (…) körperliche Auseinandersetzung mit der (inneren und äusseren) Natur des Menschen” – eine Einschätzung, die auch modernen Praktikanten der Kampfkünste nicht ganz fremd ist. 

In Mitteleuropa übten sich junger Adel und Ritterschaft noch bis ins frühe 16. Jahrhundern in diesen traditionellen vorsportlichen Disziplinen. In den Städten hingegen praktizierten die Zünfte und Gilden der Handwerker, in streng regulierten und kaiserlich privilegierten nationalen Bruderschaften organisiert, die Kunst des langen Schwerts, des Rapiers (mit und ohne Linkshanddolch), sowie des Zweikampfes mit dem krummklingigen Holzschwert (Dussack), und der kurzen und langen Stange.

Ihre Turniere, die sogenannten Fechtschulen, waren “full contact” Angelegenheiten, wobei es den Fechtern darum ging, ihren Gegnern die “rote Blume” zu verehren, d.h., ihnen eine blutende Platzwunde am Kopf beizubringen. Todesfälle und schwere Verletzungen kamen relativ häufig vor und wurden in den Fechtreimen der Marxbrüder und Federfechter verewigt. Neben den kampferprobten Handwerksmeistern hatten lediglich Studenten das Recht, an diesen öffentlich ausgetragenen Turnieren teilzunehmen.

Nürnberg Fechtschule 1623

Nürnberg Fechtschule 1623

 

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunders war in Deutschland allerdings das athletische und besonders das kampfsportliche Treiben der oberen Schichten stark verkümmert. Welle führt dies auf die zunehmende Verfeinerung der adligen Verhaltenscodes zurück, gepaart mit einer pseudo-medizinisch begründeten Aversion gegen das Schwitzen, nach welcher Blutwallungen aus “gesundheitlichen” und moralischen Gründen streng zu vermeiden waren: Durch übermässige Bewegung in Wallung gebrachtes Blut soll junge Männer empfänglich für andere fleischliche Versuchungen gemacht haben.

Diese Einstellung liegt u.a. auch dem Niedergang des Ringens im zivilisierten Mitteleuropa zugrunde: Widmet der Jenenser Exercitienmeister Johann Georg Paschen in der Mitte des 17. Jahrhunderts noch die Hälfte seiner literarischen Schffenskraft der Ringerkunst, hat sein Nürnberger Kollege Johann Andreas Schmidt Anfang des 18. Jahrhunderts sein Repertoire bereits auf eine Handvoll Selbstverteidigungstricks reduziert.

Student sports at Liegnitz

Student sports at Liegnitz

Zur Zeit Friedrichs des Grossen findet sich das Ringen nicht einmal mehr in den sportlichen Darbietungen der Provinz: Bei dem am 19. März 1743 stattfindenden Fest der Ritter-Akademie in Liegnitz “liessen sich die Academisten im Fechten und Voltigieren sehen, wobey sich der Herr von Kattenborn ganz besonders distingquierte, und fast alle Lectiones im Voltigieren [i.e., dem geräteturnerischen Vorläufer des Turnens am Pferd], mit Stiefeln und Sporn, mit der grössten Accuratesse durch machte.”

Das Ringen als Kampfsport war zu dieser Zeit in Deutschland bereits zum Jahrmarktsspektakel degeneriert.

Konversationen mit der Klinge

Das Fechten auf dem besagten Liegnitzer Akademie-Fest bestand im Stossfechten mit dem Florett. Nach Körperhaltung, insbesondere der linken Hand, zu schliessen, wurde dies noch nach der französischen Methode betrieben, nicht der “nach Kreusslerschen Grundsätzen” formulierten Art und Weise, die von der Fechtmeisterdynastie der Kreusslers seit Anfang des 18. Jahrhunderts von Jena aus verbreitet wurde.

Die Fechtkunst dieser Epoche entsprach ganz den ästhetischen Anforderungen der sie praktizierenden Oberschichten: In Ermangelung von Fechtmasken, die erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkamen, befleissigten sich die Fechter einer ultrakonservativen Art des Klingenspiels, welche von Fechthistorikern gern als “Konversation mit Klingen” charakterisiert wird und den körperlichen Widerpark zu Rethorik und Dialektik bildete. Körperkontakt, wie etwa bei den Entwaffnungen und Würfen früherer Systeme gang und gäbe, fand soweit möglich nicht mehr statt.

Schenkt man dem schottischen Amateurfechter Sir William Hope Glauben, bestand zumindest bei fechterischen Wettbewerben kaum Anlass, in Schweiss zu geraten. Für Fechtturniere empfahl dieser nämlich bereits im Jahre 1707, dass niemandem gestattet werden sollte, mehr als ein Gefecht am Tag zu bestreiten, “denn nach dem ersten Gefecht ist die Kraft eines Mannes ausgespielt, und es wäre (…) höchst unvernünftig, von ihm zu verlangen, am selben Tag noch gegen einen frischen Fechter anzutreten.” Das Gefecht selbst sollte auch niemals fünf oder sechs Treffer überschreiten, da “wenn die Leute so lebhaft fechten wie sie sollten, ihre Kraft verausgabt wird.”

Die Fechter der heute als “klassisch” geltenden (und oft übermässig glorifizierten) Periode der Fechtkunst dürften nach heutigen Standards athletisch also eher unterqualifiziert gewesen sein: Ein Gefecht über fünf Treffer entspricht bei heutigen Turnieren der ersten Paarung der Qualifikationsrunde (Pools), welche je nach Teilnehmerzahl von vier bis sieben weiteren Fünfpunkt-Gefechten gefolgt wird, bevor die Eliminationsrunden mit Gefechten auf 15 Punkte überhaupt beginnen!

Nächste Folge: Der Einfluß der Turnerbewegung auf das Deutsche Hiebfechten.

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